Denk-Mahl

Das Blog für Freunde des eigenen Verstandes

Tschüss, Pegida … – willkommen Aufklärung!

| Keine Kommentare

Auflösungserscheinungen bei den selbsternannten „Patriotischen Europäern“. Führungsspitze weg, Demo abgesagt – gut so. Haben sie endlich gemerkt, dass ihre kruden Parolen nicht gut angenommen werden von denen, die wirklich „das Volk“ sind – nämlich jene gar nicht schweigende Mehrheit der Bürger, die eine offene, tolerante und respektvolle Gesellschaft mit einem Bekenntnis zur Humanität jedem autoritären Denken vorziehen. Einer der bizarrsten Auswüchse von Pegida und Konsorten war ja die mangelnde Gesprächsbereitschaft dieser „Bewegung“. Sie wollten nicht diskutieren, denn dann wäre ja offenbar geworden, welchen Dünnsinn sie verzapfen. Sie wollten einfach nur „recht bekommen“. „Jetzt red ich!“ Braucht es einen weiteren Beweis für das schwache Selbstbewusstsein dieser „Bürger auf der Suche nach Selbstbestätigung“? Dass die Mehrheit nicht zu dieser „Gruppentherapie“ bereit ist, wen wundert’s?

Aber ist damit das Problem erledigt? Sollen wir sie wirklich „im Regen stehen lassen“? Sollen oder können wir zur Tagesordnung zurückkehren, uns um aktuelle neue Aufreger (Wahl in Griechenland!) kümmern? Ich denke, es ist jetzt eher die Zeit gekommen, sich selbstkritisch zu fragen, wie wir eigentlich mit den errungenen und offenbar zu selbstverständlich gewordenen Freiheiten umgehen. Vielleicht kann man es so sagen: Durch Pegida, aber auch durch die entsetzlichen Anschläge in Paris sind wir aus dem selbstgefälligen Schlaf geweckt worden, aus dem süßen Schlummer, der uns einlullte und so trügerisch sicher machte, dass Freiheit, Toleranz, Respekt, Menschenwürde, Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt doch vielleicht nicht so allgemein akzeptiert sind, wie wir uns das einbilden. Offenbar gibt es einen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung, der sich damit überfordert fühlt. Und das gibt zu denken.

Die Pegidisten haben nicht nur zahlreiche „Ableger“ bekommen, die sich – nicht sehr originell – Ba-, Dü-, Le- oder Mügida nennen. Die Eintönigkeit der Variationen entspricht dabei auch der Eindimensionalität ihrer Thematik. Und doch – es gibt inzwischen nicht nur Ableger, sondern, tja – soll man von einer „Mutation“ sprechen? Denn da ist seit Neuestem auch noch „Pegada“ – die „Patriotischen Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“. Öha. Irgendwann gibt es dann „Pegöda“ gegen die Ökonomisierung des Abendlandes und so weiter.

Denn das ist das Kennzeichen dieser „Patrioten“. „DAGEGEN“, brüllen sie, wogegen auch immer: gegen „die“ Politik“, gegen „die Lügenpresse“, gegen „die Überfremdung“. Das ist auch das Bedenkliche: Die Furcht um Errungenes äußert sich in einer totalen Ablehnung, die nicht in der Lage ist zu differenzieren. Klar, Abgrenzung gegen Übergriffe ist notwendig, wenn man seine Identität bewahren will. Aber Identität lediglich in Abgrenzung zu suchen und ohne positive Inhalte muss notwendig zum Zusammenbruch führen. Mit anderen Worten: Dass Kräfte, die uns – aus welchem Grund auch immer – unheimlich vorkommen, die Stabilität unserer Gesellschaft bedrohen, kann nur passieren, weil sie selbst innerlich hohl geworden ist, das, was wir als „Wertekorsett“ um sie herum gebildet haben, nur eine Attrappe, aber keine Gestalt mehr ist.

Um positive Inhalte also geht es, mit denen wir unsere hohl gewordenen Bekenntnisse wieder stabilisieren müssen. Wie das aussehen könnte, ist ein politischer Prozess. Und der muss neu initiiert werden. Das heutige Tagesgespräch auf Bayern2   befasste sich mit der Frage, ob man „mit Pegida reden“ solle. Die Anrufer haben das Thema sehr kontrovers diskutiert. Tenor aber: Reden – ja. Mit den Menschen. Nicht mit der Organisation und deren Anführern. Ihnen keine Bühne zur Selbstdarstellung bieten.

Dabei ist es schon erstaunlich: Kaum gehen ein paar aufgeschreckte Bürger auf die Straße, zu deren Lebenswirklichkeit „Überfremdung“ und „Islamisierung“ – von abendländischem Wertebewusstsein allerdings auch ganz zu schweigen – nun wirklich nicht gehören können (Ausländeranteil in Dresden: zwei Prozent, Muslime: 0,1 Prozent), stellt sich die Politik die Frage, ob man mit diesen reden soll. Lehnen mehr als 70 Prozent der Bundesbürger die „grüne Gentechnik“ ab, marschieren mehr als 50.000 Teilnehmer bei der Demo „Wir haben es satt“ für eine humane Landwirtschaft, geben über 1,3 Millionen Bürger EU-weit und mehr als eine Dreiviertelmillion allein in Deutschland ihre Unterschrift für eine Europäische Bürgerinitiative zum Stopp von TTIP, Ceta und Konsorten, wird diese Notwendigkeit nicht gesehen. Da wird dann relativiert, diskreditiert, bagatellisiert, für dumm verkauft usw. Heißt im Klartext: Reden mit Andersdenkenden ist dann erwünscht, wenn diese zwar lautstark sind, aber eigentlich das Establishment nicht infrage stellen.

Eines ist klar: Miteinander im Gespräch zu sein ist in einer demokratischen und offenen Gesellschaft die einzig legitime Form der Auseinandersetzung. Es kommt aber auch auf den Rahmen an. Und hier ist tatsächlich „die Politik“, sind aber auch Bildungsinstitutionen, Parteien, Kirchen, Bürgerinitiativen – kurz: die „Zivilgesellschaft“ (oder besser: zivilisierte Gesellschaft) – gefragt, entsprechende Angebote zu machen. Nicht aber eine Anbiederung durch Aufwertung von Organisationen, die die Grundregeln und Werte des demokratischen Verfassungsstaates aushebeln wollen. – Eine neue Runde der Aufklärung ist vonnöten. Fordern wir den Dialog ein und: Beteiligen wir uns daran.

 

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


(c) Johannes Bucej 2023