Denk-Mahl

Das Blog für Freunde des eigenen Verstandes

Geist ist geil

„Der Mensch bleibt unlesbar“ – unter dieser Überschrift brachte die SZ am 18. Oktober 2014 eine Doppelseite über das „Manifest der Hirnforscher“. Vor zehn Jahren wurde es veröffentlicht – von führenden Neurologen, Neurobiologen, Psychologen. Und? Was ist daraus geworden? Ein Sturm im Wasserglas. Fraglich bleibt, ob das menschliche Gehirn jemals sich selbst verstehen wird. Ein Menetekel für das 2013 von der EU gestartete „Human Brain Project“, die europäische Antwort auf das amerikanische Brain Activity Map Project (auch: Brain Initiative)? – Was mich wundert, ist die anhaltende Energie, mit der man nicht nur versucht, menschliche Schwächen zu beheben, seien es Krankheiten wie Demenz oder geistige Beeinträchtigungen, Lernschwächen oder Hirnschädigungen – alles verständlich, alles an sich lobenswert. Sondern vielmehr die Tatsache, dass man dies auf rein naturwissenschaftlichem Weg, rein funktional versucht. Es ist und bleibt ein fundamentales Missverständnis, rein technisch-naturwissenschaftlich geistige Prozesse verstehen und vor allem beherrschen zu wollen. Willensfreiheit? Verantwortung? Lassen sich halt nicht im Zusammenspiel von Synapsen erklären – und den Menschen damit zur Manipulationsmasse werden. Das ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie – nicht mal mehr Wissenschaftsglaube, sondern -aberglaube, ergo, etwas völlig Irrationales. Apropos: Auch das Verständnis von „Rationalität“ ist entlarvend: linear, eindimensional, banal.

Was dahinter steckt, ist schlicht die Leugnung, dass es so etwas wie „Geist“ gibt – unabhängig von Materie. Ein alter Hut also. Und die Grundfrage der Philosophie, wie „der Geist in die Welt“ kam, ob es eine einzige Substanz (materiell oder geistig) gibt, wie die Monisten meinen – oder ob es sich um zwei Entitäten handelt (Dualismus). Dank der Evolutionstheorie und den unbestreitbaren Erfolgen der modernen Hirnforschung schlägt das Pendel gegenwärtig anscheinend wieder in die monistische Richtung – und zwar deren materialistische Version – aus. Dumm dann, dass vollmundige Versprechungen sich als leer herausstellten. „Bisher“ – höre ich die Verteidiger der monistischen Weltsich rufen. Wirklich nur „bisher“? Was muss noch geschehen, dass man anerkennt, dass Geist, so wie wir ihn kennen, zwar offenbar an Materie gebunden ist, aber dennoch etwas Eigenständiges? Wir verwechseln doch auch nicht einen Anzug mit der Person, die ihn trägt.

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(c) Johannes Bucej 2023