Denk-Mahl

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1000 Peitschenhiebe

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Seit Wochen ist es ein Thema in den Medien: die Verurteilung des jungen saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi zu 10 Jahren Haft, 250.000 Dollar Geldstrafe und 1000 (i. W.: tausend) Peitschenhieben. Sein „Vergehen“: Kritik an der saudi-arabischen Religionspolizei, ihrer Willkür, ihrer Macht. Tausend Peitschenhiebe – schon die schiere Zahl ist für uns unvorstellbar. Als wären die Haft und die existenzbedrohende Geldstrafe nicht schon Skandal genug und als bedürfte es noch eines weiteren Beweises für die Barbarei, die ein radikaler Islam anzurichten imstande ist. Doch das hier ist anders.

Wohlgemerkt: Wir reden nicht vom IS, nicht von Boko Haram Terroristen mithin , sondern von einem angeblichen „Verbündeten“ des Westens. Zu dem die USA, zu dem Europa, zu dem die Bundesrepublik Deutschland diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen unterhalten. Doch kann Verbündeter sein, wer unsere Werte nicht teilt? Wer sie mit Füßen tritt? Wer sie zu vernichten trachtet? Wer alles dafür tut, um ihre Geltung und Durchsetzung zu verhindern?

Was soll die Heuchelei, was die Krokodilstränen, was das Entsetzen und die Empörung, die die Horden von Abu Bakr al Bakadi (IS) oder Abubakar Shekau (Boko Haram) anrichten, wenn gleichzeitig die Geschäfte mit Saudi-Arabien so blendend laufen? Was die Bigotterie, sich in die Protestmärsche der westlichen Staaten für Presse- und Meinungsfreiheit einzureihen, wie im Januar anlässlich der Demonstration nach den Anschlägen von Paris, ohne dass einer der anwesenden westlichen Politker dagegen protestierte? Was der Kotau vor den saudischen Machthabern anlässlich der Trauerfeier um König Abdullah? Ächtung, nicht Verständnis oder halbherziges Eintreten für Menschenrechte ist das Gebot der Stunde, und zwar nicht nur der Irren, die im Nahen Osten und in Afrika wüten, sondern der Despoten auf der arabischen Halbinsel, zu denen auch die „Vereinigten Arabischen Emirate“, zu denen der Skandal um die Ausbeutung von Saisonarbeitern im Vorfeld der WM 2022 in Katar gehören, die Niederknüppelung und Unterdrückung der Opposition mit westlichen (!) Waffen in Bahrein usw.

Ja, natürlich werden wir uns wieder anhören müssen, dass alles „so einfach“ nicht sei, dass man auf unterschiedliche Kulturen Rücksicht nehmen müsse, dass man diplomatisch vorgehen müsse. Wie oft wurde uns das schon gesagt? Und, hat es genutzt? Oder wurde der Furor nicht nur noch größer?

Die zunehmende Bekämpfung des abendländischen Freiheitsverständnisses, der Errungenschaften auf dem „Alten Kontinent“ spätestens seit der Aufklärung sie ist ja nicht nur dort erkennbar. Was treibt Putin, was Xi Jinping in China? Sie wollen mit aller Gewalt das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Die freie Welt muss diesem Affront mit allem Widerstand und Ächtung begegnen, nicht mit Verständnis und diplomatischer Rücksichtnahme auf die Eitelkeiten alternder (religiöser oder weltlicher) Tyrannen. Nicht nur den marodierenden Horden, sondern vor allem dem staatlich organisierten und legitimierten Terrorismus, der sich nur scheinbar auf „geltendes Recht“ und – welch ein Hohn – auf die „Unabhängigkeit der Justiz“ berufen kann, um Begnadigungen, wie im Falle Badawis eiskalt abzulehnen und sich „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zu verbitten.

Bei Charlie Hebdo waren plötzlich alle (auch ich) „Charlie“. Und bei Raif Badawi? Oder gilt das nur für westliche Opfer von Gewalt und Unrecht?

 

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