Denk-Mahl

Das Blog für Freunde des eigenen Verstandes

Würde ist kein Konjunktiv. Eine Reflexion über Wert und Wertschätzung

Die Würde des Menschen beginnt mit dem Kochtopf? Dieser Satz bedarf nicht erst nach der Schließung der Ställe des Massenzüchters Straathof einer Klarstellung. Denn so einfach ist das natürlich nicht.

Die Zeiten, in denen wir uns selbst um unsere Nahrung kümmerten, sei es als Jäger und Sammler, sei es als Sesshafte oder Nomaden durch Ackerbau und Viehzucht – und die daraus resultierenden Verarbeitungen –, diese Zeiten also sind schon längst vorbei, und wer heute noch selbst am Herd steht, kocht, einmacht, bäckt usw., tut dies oft nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Freude am Tun. Das ist ja als solches nicht verwerflich. Im Gegenteil. Freude ist ein hohes Gut. Manche nennen es auch Glück. Und als solches ist es Thema der Philosophie seit Anbeginn.

Nun ist aber diese Freude verbunden mit Mühe – die wir gelegentlich gern auf uns nehmen, weil wir darin Erfüllung finden. Meist aber scheuen wir sie, weil wir die Erfüllung – neudeutsch „Flow“ – gegen kurzlebige Bedürfnisbefriedigung eintauschen. Doch das hat seinen Preis.

Wenn wir uns aber schon von dieser Mühe befreien, stellt sich die Frage nach der Herkunft unserer Lebensmittel heute verstärkt. Auch diese „Zeit der Unschuld“ ist längst Geschichte. Wo Menschen auf Eigenversorgung  angewiesen sind und noch mit ihren eigenen Händen Gemüse anbauen, es verarbeiten, wo sie noch Tiere halten, um ihre Produkte oder sie zu verspeisen, sprechen wir in überheblicher Manier meist von Entwicklungsländern und verkennen, welchen Wissens- und Erfahrungsschatz diese Menschen bewahren. Wir in den „entwickelten“ – sprich: industrialisierten – Ländern haben das ausgelagert, delegiert. Und lügen uns beim Einkauf angesichts der bunten, kitschigen Etiketten, die uns eine „heile Welt“ vorgaukeln, in der unsere Nahrung entstanden sein soll, gern in den eigenen Einkaufskorb.

Genau das geht seit geraumer Zeit nicht mehr. Zu offensichtlich sind die Missstände geworden, die durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion, ebenso durch den Massenvertrieb quer über die Kontinente entstanden sind. Klar war es ein großes Verdienst, dass Menschen in Europa nach den mühseligen Zeiten, in denen Missernten und Hungersnöte an der Tagesordnung waren, endlich Ernährungssicherheit hatten. Doch nicht das ist das Problem, sondern dass wir uns selbst vom Herstellungsprozess entfremdet haben, dass Ahnungslosigkeit nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. So weit, dass man uns heute ein X für ein U vormachen kann. „Zonen-Gaby im Glück“ ist heute überall. Und das wohlfeile Argument, dass man heute bei den Kindern mit „Geschmackserziehung“ anfangen müsste, um sie vor den bösen Verführungen und Verdummungen durch Werbung zu bewahren, verkennt, dass wir als Erwachsene bei uns selbst anfangen müssten und auch diese Aufgabe nicht einfach an Schulen oder Kitas weiterreichen können. Wir haben diese Bildung mindestens ebenso nötig.

Das Problem ist nicht einfach Unkenntnis, sondern Ignoranz – eben die gleiche Haltung, die uns die Augen verschließen lässt vor der Frage, wo heute unsere Lebensmittel herkommen, wie sie erzeugt werden. Sie erlaubt nämlich jenen, die uns die Aufgabe der Selbstversorgung abgenommen haben, uns hinters Licht zu führen – und unverblümt ihre Interessen für die unsrigen zu erklären. „Der Verbraucher will…“, „Solange der Verbraucher …“, „Der Verbraucher trägt die Verantwortung für …“ – ja, das tut er in gewisser Weise durch seine Wahl. Aber es ist natürlich keine Entschuldigung für Gier, ob beim Quartalsgewinn der Lebensmittelkonzerne oder bei der Schnäppchenjagd im Supermarkt. Denn genau das ist das Gegenteil von „Würde“. Die Degradierung des Menschen zum bloßen „Verbraucher“ ist ein Angriff auf seine Würde. Die er sich auch meist noch ohne Gegenwehr gefallen lässt. Die Gehirnwäsche durch den angeblichen Primat der Ökonomie und die verkürzende Definition des Menschen als angeblich rational (das heißt hier schlicht: auf seinen Eigennutz bedacht) handelnder „homo oeconomicus“ hat hier ganze Arbeit geleistet.

„Würde“ ist kein Konjunktiv, sondern hängt zusammen mit „Wert“ – und damit Wertschätzung. Die Wertschätzung, die ich mir selbst entgegenbringe und entgegenbringen kann, ist abhängig davon, ob ich sie auch anderen oder anderem zugestehe. Sie ist keine Einbahnstraße. Weil ich eben die Freiheit der Wahl habe, kann ich auch entscheiden, was in meinem Kochtopf landet. Und ob ich entsprechend achtungsvoll mit diesem Gut umgehe. Mit anderen Worten: ob ich vom Verbraucher zum „Verwerter“ werde. Und es mir gelegentlich vielleicht sogar gelingt, selbst noch zur „Veredelung“ beizutragen – durch achtsamen Umgang mit dem Produkt, durch fantasie- und liebevolle Zubereitung.

Deshalb: Ja, die Würde des Menschen beginnt beim Kochtopf. Aber: auch mit seiner Entscheidung, was er dort hineintut und woher es kommt und wie es erzeugt wurde.

 

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(c) Johannes Bucej 2023