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Gotteslästerung?

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Die grausamen Anschläge von Paris sind gerade einmal eine Woche her, da werden schon wieder Überlegungen angestellt, wie man sich selbst zensieren kann … Allen öffentlichen Bekundungen zum Trotz, sich von den Terroristen nicht den Schneid abkaufen zu lassen, fordern konservative Politiker allen Ernstes eine Verschärfung des Strafparagrafen zur „Gotteslästerung“ (§ 166 StGB). Auf der anderen Seite stehen diejenigen, denen öffentliche Religionsausübung eh ein Dorn im Auge ist und die sich deshalb für die vorbehaltlose Abschaffung einsetzen.

Doch lassen wir die Motivation, sich für oder gegen dieses Gesetz auszusprechen, außen vor. Wer sich die Fassung des entsprechenden Paragrafen anschaut, wird den Begriff „Gotteslästerung“ darin nicht finden, sondern: „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“. Es wäre auch seltsam, in einem säkular verfassten Staat eine solche Norm zu finden. Denn auch wenn sich das Grundgesetz in seiner Präambel auf die Verantwortung des deutschen Volkes „vor Gott und den Menschen“ beruft, ist damit kein Bekenntniszwang ausgesprochen. Vielmehr stellt sich die Frage: Träfen die Vorschriften dieses Paragrafen auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ oder auch auf ein deutsches Äquivalent zu? Oder nicht doch vielmehr auf die Attentäter, die anders als die Redakteure und Zeichner „den öffentlichen Frieden“ gestört haben, was  eine ziemlich verharmlosende Beschreibung ihrer Taten wäre.

Eine auf humanistischen Grundsätzen beruhende Staatsverfassung – und Bestandteil einer solchen ist das Grundgesetz und auch das Strafgesetzbuch – kann schlechterdings nichts anderes als das Verhältnis der Menschen in einem Staat regeln. Und anderes tut auch dieses Gesetz nicht. Da nicht nur Religionsgemeinschaften, sondern „Weltanschauungsvereinigungen“ allgemein genannt sind, seien sie religiös oder nicht, greift der „Straftatbestand Gotteslästerung“ hier überhaupt nicht. Es geht – wie so oft – schlicht um Herabsetzung anderer – und damit um Entwürdigung.

Die Frage ist: Stört Satire den „öffentlichen Frieden“? Dass sie zuspitzt, dass sie provoziert, ist keine Frage. Aber wie tut sie das? Gute Satire tut dies z. B., indem sie die einer totalitären Gesinnung innewohnende Lächerlichkeit und Widersprüchlichkeit zum Handeln hervorhebt – auch und gerade im Falle der Religion ein durchaus legitimes Anliegen. Beanspruchen doch gerade Vertreter von Religionen offenbar eine moralische Autorität, die ihnen – angeblich – von höherer Seite her verliehen wurde, und nicht selten, um genau im Widerspruch zu den Geboten dieser höheren Seite zu handeln. – Solange es um eine Auseinandersetzung mit Gründen und Gegengründen geht (und seien diese noch so schwach), solange besteht die Möglichkeit zum Dialog. Sobald aber der Rückzug auf „absolute Wahrheiten“ jeden Dialog unmöglich macht, gibt es lediglich zwei Möglichkeiten: Entweder man ignoriert diese Haltung oder aber man setzt die „Brechstange“ der Satire an. Ignorieren bedeutet dabei tatsächlich Ausgrenzung, Satire will das Gegenteil: sie zweifelt „allgemeingültige Wahrheiten“ an – und mehr noch: sie bestreitet, dass es so etwas wie „die Wahrheit“ gibt und vor allem, dass einige wenige sie gepachtet haben. Gerade durch ihre Relativierung stiftet sie auch Beziehung, sie gilt ebenso wenig wie die von ihr Karikierten „absolut“.

Seit der Tragödie von Paris ist der Satz, dass dies mit dem „wahren Islam“ nichts zu tun habe, immer wieder als Abgrenzung von den grauenhaften Taten der Terroristen gesagt und geschrieben worden. Mag sein. Man sieht sich als Gläubiger natürlich gern auf der positiven, sympathischen Seite seiner Religion – da geht es Muslimen nicht anders als Christen, die auch immer dann, wenn im Namen ihrer Religion Unfassbares geschieht, auch gegen Autoritäten sagen, dies sei „nicht die wahre Lehre Jesu“. – Wer „die Wahrheit“ definiert, ist im Islam nicht so klar geregelt, wie in den Kirchen mit ihren Hierarchien. Das ist kein Plädoyer dafür, dieses System auf andere Religionen zu übertragen – im Gegenteil. Denn für beide – für alle – gilt der Satz von André Gide: Glaube denen, die die Wahrheit suchen und zweifle an denen, die sie gefunden haben. Nichts anderes haben die Zeichner und Redakteure von Charlie Hebdo getan.

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