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Essen der Zukunft

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Zwei Artikel, einer auf SZ online, einer aus der aktuellen ZEIT – ein Thema: Essen, Aber so, dass einem in beiden Fällen der Appetit vergeht. –
Auf SZ online der preisgekrönte Artikel  „Die Schlachtordnung“ (Herbert-Riehl-Heyse-Preis der SZ) der ZEIT-Redakteurin Anne Kunze über die Fleischwirtschaft im Norden Deutschlands und ausgebeutete Arbeiter aus Osteuropa. Wer danach noch sein Fleisch im Discounter oder Supermarkt kauft, ist ein gewissenloser Schuft. Das gilt übrigens auch für Wirte und Köche.

Im Wirtschaftsteil der ZEIT vom 29.4.: das Essen der Zukunft unter dem Titel „Das jüngste Gericht“. Fleisch aus dem Labor, Eier ohne Hühner, Vertical Farming in all seinen Facetten – ein Milliardengeschäft, das nicht etwa findige Agraringenieure bewerkstelligen, sondern die Nerds aus dem Silicon Valley mit Unterstützung der IT- Milliardäre Peter Thiel (Facebook, Paypal), Bill Gates (Microsoft), Sergej Bryn (Google), Biz Stone (Twitter).

Das alles wird zwar „ethisch“ verbrämt (die Welt vom Hunger befreien, kein Tier mehr töten müssen, Ende der Massentierhaltung usw.), aber natürlich geht’s nur ums Geschäft. Die Herrschaften interessieren sich für Lebensmittel nur insofern, als man Kasse machen kann – und unterscheiden sich in nichts von den übrigen Nahrungsmultis, nur dadurch, dass sie halt „branchenfremd“ sind. Milliardenschwere Quereinsteiger, die anderen Milliardären Konkurrenz machen wollen – oder sich im Zweifelsfalle sogar mit ihnen verbünden. – Na, das wird mal eine Horrorallianz. Ob das damals intendiert war, als man anfing, im Funktionsbereich von Computerprogrammen von „Menüs“ zu sprechen?

Zwei Seiten weiter: ein Interview mit Sternekoch Joachim Wissler, der das Kochen mit „natürlichen Zutaten“ beschwört und – erwartungsgemäß – eine Lanze für die Koch- und Esskultur bricht. Recht so. Natürlich ist es gut, dass jemand wie er – oder auch Witzigmann, Wohlfahrt und Kollegen – daran erinnern, dass der Anbau, die Erzeugung und der Umgang mit Lebensmitteln eine durch nichts zu ersetzende Kulturleistung ist, schon gar nicht durch Technik und Wissenschaft.

Aber wird die Botschaft gehört? Und vor allem: Wird sie von den „Richtigen“ gehört? Daran darf man zweifeln. Vielmehr ist zu befürchten, dass ein aufrechter Streiter wie Joachim Wissler das übliche Vorurteil nur noch verstärkt: dass „natürliches Essen“ nur noch für eine kleine Genuss-Elite erschwinglich sein wird, dass gutes Essen der „sozialen Distinktion“ Vorschub leistet, dass  konventionell erzeugte Lebensmittel die wachsende Weltbevölkerung und vor allem den Hunger nach Fleisch nicht stillen können, dass die Versiegelung des Bodens fortschreitet und nicht genügend landwirtschaftliche Fläche zur Verfügung steht, wie umweltschädlich das alles ist usw.

Das alles sind ja bis zum Überdruss wiederholte Standpunkte und Rechtfertigungen für alle möglichen Entwicklungen (von gentechnisch manipulierten Pflanzen über Hochleistungszüchtung von Nutztieren bis hin zum Labor), und die Züchtung von Fleischlappen in der Petrischale ist nur ein vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung. Angeblich – so eine in dem Artikel zitierte Untersuchung der Universität Oxford“ –  soll dank der Labortechnik künftig eine „Herde“ von 35.000  Rindern ausreichen, denen man hin und wieder eine Gewebeprobe entnimmt, um den weltweiten Fleischbedarf decken zu können. 35.000 statt wie zurzeit eine Milliarde – das würde ohne Zweifel zur Klimaverbesserung beitragen.

Dass diese die über Jahrtausende gewachsene Vielfalt von Pflanzen und Tierrassen nicht ersetzen können, dass die Symbiose zwischen Tier und Mensch zu einzigartigen Kulturlandschaften geführt hat, die unwiederbringlich dahin wären, gäbe man das auf, ist auch richtig – all das klingt ja allerdings auch ziemlich akademisch für „Otto-Normalverbraucher“ und Shoppingqueen Chantal – und erst recht für Oma Erna, die ihre karge Rente in den Supermarkt tragen muss, weil sie sich anständige Lebensmittel nicht leisten kann, ganz zu schweigen von einem achtgängigen Gourmet-Menü zu 260 Euro bei Herrn Wissler. Und die Wirklichkeit steht diesem Idyll ja auch diametral entgegen – s. den Artikel von Anne Kunze. – Ja, ja – alles dutzendmal gehört und gelesen, und sicher hat das alles auch seine Berechtigung.

Viel wichtiger scheint mir jedoch zu sein, dass ein paar Etagen „tiefer“ mit der Bewusstseinsbildung und auch Wissensvermittlung angefangen werden müsste. Es gibt nämlich über die „Stars“ der Gourmetszene hinaus noch eine ganze Reihe anderer, die diese Aufklärung übernehmen könnten und müssten. Der übliche Klavierlehrer heißt in der Regel nicht Ivo Pogorelich oder Martin Stadtfeld, eine Uniprofessorin wird üblicherweise keine Grundschulklasse unterrichten. Dementsprechend sollte auch die „kulinarische Bildung“ alltäglicher vermittelt werden als durch die Hohenpriester der Kochkunst und der Gastronomie.

Nicht die Edelsteaks von den paar artgerecht gehaltenen Pinzgauer oder Wagyu-Rindern oder das Filet vom Salzwiesenlamm sind nämlich das Problem (die werden nur dummerweise mit den armen Viechern der industriellen Haltung immer in einen „argumentativen“ Topf geworfen), sondern das System als solches, das vom kulinarischen Analphabetismus „des Verbrauchers“ profitiert, weshalb man auch alles daran setzt, ihn möglichst weiterhin dumm und ahnungslos zu halten und ihm Sand in die Augen zu streuen – mithilfe einer willfährigen Politik (natürlich nur der Arbeitsplätze wegen … ).

Wo sind aber die Köche und Köchinnen in den Gaststuben, die „es“ noch draufhaben, wie ordentlich gekocht wird und dem Gast darüber Auskunft geben und Rede und Antwort stehen, woher sie ihre Produkte beziehen? Die sich trauen, neben Schweinsbraten und Steaks auch „weniger edle“ Fleischteile auf die Karte zu setzen, gar den Anteil an Fleisch- und Fischgerichten zugunsten von preiswerten, einfachen und schmackhaften fleischlosen Gerichten zu verringern, die noch wirklich kochen statt einfach zusammenrühren und aufwärmen? Wo die Eltern, die auch zu Hause auf guten Lebensmitteln bestehen, für den Liter Milch tatsächlich einen Euro fünfzig zahlen (statt fünfzig Cent im Discounter), weil die Kuh von Kraftfutter und Soja aus Übersee verschont blieb und auf die Weide durfte und der Bauer damit seine Kosten decken kann – und die notfalls auch dafür das Budget für die nächste Shoppingtour kürzen, auf einen zweiten oder dritten Urlaub verzichten, ja sogar den Kauf eines neuen Autos  verschieben, weil gutes Essen nun mal wichtiger ist als das neueste SUV-Modell und Surfen auf den Malediven oder Skifahren in den ohnehin malträtierten Berggebieten? – Und wo sind schließlich diejenigen wirklichen Experten mit Freude am Genuss, die den Ess-Ideologen und -gurus jeglicher Couleur den Schneid abkaufen, ihnen mal eine Sendepause verordnen und die Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Lebensmittelerzeugung, Lebensqualität und Gesundheit erklären. Was diese geflissentlich ignorieren, weil es nicht in ihre Eiapopeia-Vorstellung von Natur passt, dass man zum Beispiel Tiere nicht nur halten, sondern auch schlachten muss. Denn verantwortungsvolle, erfolgreiche und umwelterhaltende Landwirtschaft und Ernährung geht nunmal nur so.

Was macht gute Lebensmittel aus? Was gibt es über die üblichen vier, fünf Geschmäcker hinaus, die dem Durchschnittsesser vertraut sind? – Da hilft nur: Neugier. Nicht die neueste, angesagteste Delikatesse, sondern die Grundbegriffe guten Essens wieder lernen: Wie macht man eine einfache Tomatensuppe (auch ohne Thermomix), wie einen Gemüseauflauf ohne Konserve? Wo kommt das her, was sich da im Einkaufskorb tummelt und weder in Plastik noch in Pappe oder Blech verpackt ist? Wie hat das Tier gelebt, von dem ich Milch, Eier, Fleisch bekomme? Und: Ist das Geld, das ich dafür ausgebe, auch beim Erzeuger gelandet und nicht auf dem Konto einer anonymen Supermarktkette, die ihre Waren aus allen Winkeln der Welt bezieht und den Lieferanten die Daumenschrauben anlegt?

Es ist das letzte bisschen Souveränität, das wir uns – und anderen – bewahren können, wenn wir uns wieder auf diese einfachen Dinge besinnen. Und wem’s vor der Horrorvision graust, dass künftig vielleicht tatsächlich nur noch Lebensmittel aus dem Labor oder City-Farming das Angebot bestimmen und einigermaßen erschwinglich sein können, während selbst mein langjähriger Biogärtner oder -bauer plötzlich horrende Preise für seine Produkte verlangt bzw. verlangen muss, weil sie halt so selten geworden sind und die Nachfrage danach so hoch: tja, dem bleibt nichts weiter übrig, als selbst tätig zu werden mit einem kleinen Fleckchen Erde, auf dem sein Salat und seine Radieschen wachsen – und ein paar Hühner zu halten (s. Slow Food Magazin 2/2015).

Apropos: Heute wird auch die Expo in Mailand eröffnet, die sich mit „neuer Landwirtschaft“ und dem Kampf gegen Verschwendung und Hunger befasst. Sponsoren: McDonalds und Coca Cola. Auch da könnte einem der Appetit vergehen. Doch da gibt es auch noch den Pavillon von Slow Food: Terra Madre, Bündnisse von Bauern, Hirten, Fischern, Handwerkern und: Verwertern für eine zukunftsfähige Ernährung – das Thema des internationalen Netzwerks seit Jahren. Wo beispielhaft gezeigt wird, wie Ernährung abseits solcher Absonderlichkeiten und Scheußlichkeiten wie in den Artikeln geschildert, aussehen kann: gut, sauber und fair.

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  1. Pingback: Conviviumsbrief 05/2015 » Slow Food München

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